Montag, Juni 27, 2005

Networking im Netz: Jahrmarkt der Oberflächlichkeiten

Keine Zeit für Cocktail-Empfänge, Messen und Konferenzen? Oder einfach keine Lust? Das macht nichts, denn heute lernt man beruflich interessante Leute problemlos im Internet kennen.

Marcus Hennecke hat gerade ein paar Bewerbungen laufen. Der sympathische Diplom-Kaufmann und Doktorand hat sie an Leute geschickt, die er in letzter Zeit flüchtig kennengelernt hat. Nichts Besonderes also. Eigentlich. Das Merkwürdige ist nämlich, daß der 32jährige seine neuen Bekanntschaften noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hat. Getroffen hat er sie alle im Internet, auf der Netzwerk-Website des Open Business Club, kurz „OpenBC" genannt.

OpenBC ist in Deutschland derzeit der Vorreiter einer Welle von Online-Netzwerken, die in den vergangenen zwei Jahren aus den USA nach Europa übergeschwappt ist. Ähnlich wie auf altbekannten Anbandel-Seiten wie Friendscout24 stellen die Nutzer auch auf diesen Websites ihr Persönlichkeitsprofil ein und gehen dann auf Kontaktsuche; nur, daß es diesmal nicht um Liebe oder Beischlaf geht, sondern um Jobs, Antworten auf knifflige Fragen oder einfach nur die richtigen Beziehungen zum richtigen Zeitpunkt. In Amerika hatte sich schon 1998 die Website Sixdegrees das zum Allgemeinplatz gewordene Soziologie-Theorem zunutze gemacht, nach dem jeder Mensch mit jedem beliebigen anderen „über sechs Ecken" bekannt ist. Darauf folgten Sites wie Ryze, Tribe, LinkedIn, Monster USA und schließlich das elitäre Netzwerk der Google-Tochter Orkut. Nach dem überwältigenden Erfolg des 13 Millionen Nutzer starken Netzwerks Friendster überschütteten Risikokapitalgesellschaften diese Firmen mit Dollarbergen, als sei die New Economy-Blase niemals geplatzt. Dabei ahnt man tatsächlich nicht, mit wem man alles über fünf Ecken „verbunden" ist. Als ich beispielsweise bei der Recherche nach dem Profil von Marcus Hennecke seinen Namen falsch eintippe, lande ich plötzlich beim Profil eines gewissen Marcus Henneke, Berater bei Accenture. Prompt steht oben auf dem Bildschirm die Zeile „Ihre Verbindungen zu Marcus Henneke", und darunter erscheint eine Reihe von fünf Köpfen mit Namen. Von meinem eigenen Konterfei weist ein Pfeil auf Marion von Kuczkowski, eine eBay-Händlerin, die mein erster und einziger Kontakt ist, den ich in meiner drei Tage jungen Mitgliedschaft bisher geknüpft habe. Diese Dame wiederum kennt offenbar einen Herrn Haendly von der Firma Eidex, welcher wiederum mit einer Seora Garcia verbunden ist, die - Bingo! - bei Accenture arbeitet. Von ihr ist es nur noch ein Katzensprung zum Profil von Marcus Henneke mit K, dem jungen Mann, von dessen Existenz ich bis vor fünf Minuten noch nie gehört hatte. Wenn ich nun etwa ein paar Fragen zum Betriebsklima bei seiner Firma hätte, könnte ich ihn direkt anschreiben, oder mich über die genannten Kontakte zu ihm durchhangeln, um ein besseres Entree zu haben. Diese Vernetzung ist der Vorteil der neuen Sites. Erstklassige Expertenkontakte bietet zwar auch die ältere, schon etwas angestaubt wirkende „Competence-Site" - die Suchfunktionen und die Möglichkeit der Vernetzung sind jedoch eingeschränkt.

Auch die Netzwelt ist ein Dorf

Die studentische Netzwerker-Site E-Fellows ist sogar so exklusiv, daß nur der Kontakte suchen kann, der sich vorher mit guten Noten als „Stipendiat" qualifiziert hat. Flüchtige Verbindungen bleiben da Fehlanzeige. Peinlich muß es übrigens niemand sein, sich unter Fremden nach Karrierekontakten umzuschauen - solange er selbst auch etwas in das Netzwerk investiert, sei es Zeit, Engagement oder Wissen. „Ich habe schon viel Hilfsbereitschaft von anderen Leuten hier erfahren, so daß ich natürlich auch gerne anderen helfe", sagt etwa der OpenBC-Nutzer Hennecke. Wer anderen nicht hilft, dem kann es nämlich im Netz ganz ähnlich gehen wie im echten Leben: Auch die Netzwelt ist ein Dorf, vor allem in den sogenannten „geschlossenen" Netzwerken. Das bekannteste geschlossene System heißt LinkedIn. Anmelden kann sich zwar jeder, aktiv Kontakt aufnehmen aber kann er nur zu Leuten, die er selbst in sein Netzwerk einlädt, oder zu Menschen, die ihn in ihr Netzwerk eingeladen haben. Noch exklusiver ist das soziale Netzwerk des Online-Giganten Google: Bei „Orkut" kann man sich noch nicht einmal spontan anmelden, man muß darauf warten, von einem Mitglied eingeladen zu werden.

Daß geschlossene Systeme wie Orkut oder LinkedIn das Risiko von Spam und Bettel-Mails eindämmen, läßt deutsche Nutzer allerdings weitgehend kalt. Vielleicht liegt es daran, daß sie echte Netzwerkpflege erfordern, wahrscheinlich aber eher daran, daß es keine deutschsprachigen Versionen gibt. So hat im deutschen Sprachraum zurzeit ein offenes Netzwerk den stärksten Impetus: Bei OpenBC kann theoretisch jeder jeden kontaktieren, auch wenn persönliche Einstellungen die Privatsphäre vergrößern können. Der Hamburger Gründer Lars Hinrichs, selbst erst 28 Jahre alt, will in den nächsten zwei Jahren auf zehn Millionen Nutzer kommen. „Im Moment wächst unsere Mitgliederzahl jeden Monat im zweistelligen Prozentbereich", sagt Hinrichs. „Ich war zuerst bei LinkedIn, wo die Aktivität gleich nach dem ersten Anfangsenthusiasmus aber auf Null zurückgegangen ist", berichtet die österreichische Informatik-Studentin Manuela Hutter. Dann wechselte sie zu OpenBC, wo sie verlorene Kontakte zu alten Kollegen und Kommilitonen wieder herstellen konnte. Soziale Online-Netzwerke sind eben keine Jobbörsen, wie auch die freiberufliche Marketing-Expertin Janne Grüneisen weiß: „Wenn man sich als Arbeitssuchende feilbietet, kehrt sich der Tranzparenz-Vorteil des Systems ins Nachteilige", sagt sie. Schließlich solle ja nicht jeder mitkriegen „wer mit wem, wann und wo". Schon gar nicht der eigene Chef.

Soziale Online-Netzwerke:

Open Business Club
http://www.openbc.com Offene Plattform für Geschäfts- und Expertenkontakte Nutzer: 450.000 Sprachen: Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Niederländisch, Schwedisch, Finnisch, Chinesisch, Russisch, Ungarisch, Polnisch, Koreanisch und Italienisch. Besonderheiten: Offline-Treffen, Terminplaner Kosten: gratis. Erweiterte Funktionen 71,40 Euro pro Jahr (13 Monate)

LinkedIn
http://www.linkedin.com Geschlossene Plattform für Geschäftskontakte Nutzer: 2,1 Mio. (630.000 in Europa) Sprachen: Englisch Besonderheiten: Jobbörse Kosten: (noch) gratis

Orkut
http://www.orkut.com Geschlossene Plattform für Geschäfts-, Experten- und Freizeitkontakte Nutzer: 4 Mio. (circa 50 Prozent in Brasilien) Sprachen: Englisch, (inoffizielle Hauptsprache ist Portugiesisch) Besonderheiten: Mitgliedschaft nur durch Einladung, bislang nur Testversion Kosten: gratis

E-fellows
http://www.e-fellows.net Karriereforum Nutzer: 120.000 (davon 11.500 Stipendiaten, 4.100 Alumni) Sprachen: Deutsch Besonderheiten: Online- „Stipendium" für 60 Stunden Gratis-Internet pro Monat. Offline-Treffen.

Competence-Site
http://www.competence-site.de Forum für Manager und Nachwuchskräfte Nutzer: 11.000 Sprachen: Deutsch Besonderheiten: Datenbank mit Fachtexten, Stellenmarkt, Diskussionsforen

Übersicht
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Quelle:

Networking im Netz: Jahrmarkt der Oberflächlichkeiten - hochschulanzeiger - Berufseinstieg & Karriere,

Text: Hochschulanzeiger Nr. 79, 2005

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